Die Messung des Relative Age Effect

Wenn man sich den Kader der deutschen Nationalmannschaft für die U17-Europameisterschaft 2016 ansieht, fällt auf, dass 10 von 18 Spielern im Januar und lediglich einer in der zweiten Jahreshälfte geboren sind.1 Diese Kaderzusammenstellung ist ein Extrembeispiel für die Folgen des als Relative Age Effect (RAE) bekannten Phänomens.

Was ist der Relative Age Effect

Als Relative Age Effect wird allgemein der relative Vorteil eines Frühgeborenen gegenüber eines Spätgeborenen innerhalb einer Gruppe bezeichnet. 1985 konnte dies zum ersten Mal im Sport, damals im nordamerikanischen Eishockey, nachgewiesen werden.2

Im Fußball werden, vergleichbar mit dem Stichtag zur Einschulung im Schulsystem,3 die Kinder in Altersgruppen gemäß ihrem Geburtsjahr eingeordnet.4 Dies soll eigentlich Fairness und Chancengleichheit garantieren. Allerdings hat so ein am 01. Januar geborener Nachwuchsfußballer 364 Tage, also fast ein ganzes Jahr, Entwicklungsvorsprung auf einen am 31. Dezember geborenen Nachwuchsfußballer desselben Jahrgangs. Dieser Altersunterschied sorgt dafür, dass früh im Jahr geborene Kinder, physisch und athletisch weiterentwickelt sind als ihre Altersgenossen. Umso jünger die Kinder sind, desto eklatanter ist dieser Effekt, da der Altersunterschied einen prozentual größeren Anteil einnimmt. Allerdings ist dieser Vorteil im Erwachsenenalter durch das Ende der Wachstumsphase aufgehoben und vorrangig die Fähigkeiten entscheiden über die Qualität eines Spielers.

Die früher Geborenen haben aber zu diesem Zeitpunkt bereits weit mehr Fördermaßnahmen und Einladungen in die Juniorennationalmannschaften erhalten bzw. haben Spätgeborene da bereits mit dem Fußballspielen aufgehört oder wurden aussortiert. Dies nennt man den Matthäus-Effekt.5 Zudem ist tatsächlich eine größere Relevanz des Relative Age Effects bei körperlich anspruchsvollen Positionen, wie den Innenverteidigern und dem Torwart, zu beobachten.6

Grundsätzlich gilt, dass Geburten innerhalb des Jahres nahezu gleich verteilt sind. Theoretisch müsste so auch das grundsätzliche Talent, eine Fähigkeit (hier: das Fußballspielen) zu erlernen, gleichverteilt sein. Somit ist es von großer Bedeutung Talente unabhängig ihrer körperlichen Entwicklung zu fördern.

Geburten im Jahr 2016 in Deutchland

Im Jahr 2016 wurden beispielsweise in den Frühlingmonaten sogar weniger Kinder geboren, verglichen mit den Sommermonaten in der zweiten Jahreshälfte.7 Es besteht also rein statistisch kein Grund für den Relative Age Effect.

Der Nachweis des Relative Age Effect

Es soll nun herausgefunden werden, ob der Relative Age Effect in den, nach UEFA-Koefizienten vier größten, Ligen Europas ersichtlich und messbar ist.8 Hierzu wurde der Geburtsmonat jedes einzelnen Spielers übertragen und der Prozentuale Anteil der jeweiligen Anzahl eines Monats an der Gesamtmenge gebildet.9
Und tatsächlich besteht eine Tendenz zu früher geborenen Spielern in der Bundesliga, …

Verteilung in der Bundesliga

… der Premier League, …

Verteilung in der Premier League

… aber auch der Primera Division, …

Verteilung in der Primera Division

… und vorallem in der Serie A.

Verteilung in der Serie A

Allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass auch verpflichtete Spieler aus anderen Ländern in der Datenmenge enthalten sind und sich so per se keine Aussage über die Jugendarbeit treffen lässt. Zudem sind fast alle hier enthaltenen Spieler älter als das für den RAE relevante Alter. Es konnte allerdings bewiesen werden, dass die Auswirkungen des RAE im Profibereich durch eine ungleiche Verteilung zu erkennen sind.
Um die Ergebnisse der einzelnen Länder vergleichen zu können, wurde die Steigung der in den Diagrammen enthaltenden Trendlinien übertragen und zur einfacheren Darstellbarkeit mit (-1) multipliziert. Ein hoher Wert steht also für einen hohen RAE.

LandRAE-Faktor
Italien0,0070
Spanien0,0045
Deutschland0,0040
England0,0018

Die spanische und die deutsche Liga bewegen sich innerhalb dieser Datenmenge im Mittelfeld. Beide Nationen sind für den technisch-taktischen Fokus bekannt. Italien weist einen besonders hohen Wert auf. Möglicherweise ist dies auch ein Grund für die derzeitige Nachwuchskrise des Calcio, dass zu stark auf körperlich überlegene und weiter entwickelte Spieler gesetzt wird. Allerdings passt dann der gute Wert der Premier League nicht in diese Argumentation, da der englische Fußball auch gemeinhin als körperbetont gilt.

Der Relative Age Effect im Jugendbereich

Um dies abschließend zu untersuchen, soll nun der Jugendfußball, genauer die Jugendnationalmannschaften, der einzelnen Länder verglichen werden. Hierzu wurden die Daten aller Jugendnationalspieler der letzten 10 Jahre betrachtet.

Entwicklung über die Altersklassen

Zunächst einmal lässt sich hier sehr schön länderübergreifend die zeitlich abnehmende Relevanz des Relative Age Effect beobachten, da mit zunehmendem Alter der RAE-Faktor sinkt. Es bleibt natürlich das Problem der „unrechtmäßigen“ Förderung bestehen.

Auffällig ist das mannschaftübergreifende sehr gute Abschneiden der englischen Jugendarbeit. Offenbar ist man sich beim englischen Fußballverband dieses Problems durchaus bewusst und setzt effektive Gegenmaßnahmen ein. Auch wenn dies allen gängigen Vorurteilen über den englischen Fußball widerspricht. Vielleicht gerade deshalb haben die englischen Jugendnationalmannchaften im letzten Jahr einige Turniere gewonnen. Damit soll nicht gesagt werden, dass die englische Ausbildung besser sei, sondern dass das Problem des Relative Age Effect erkannt und bearbeitet wird. Es wird interessant zu beobachten sein, ob sich diese Maßnahmen auch bis in die höchsten Kreise der Premier League lohnen und sich genügend Spieler durchsetzen können, auch wenn der hohe RAE-Wert der Premier League dies bereits vermuten lässt.

Vor den Engländern befinden sich überschneidend die restlichen Juniorenteams. Italien ist hierbei etwas besser in Bezug auf den Relative Age Effect als Deutschland und Spanien. Dies überrascht mich, da ich, wie bereits oben erwähnt, einen höheren Wert erwartet und dies als eine der vielen Ursachen der italienischen Nachwuchskrise erwartet hätte.

Spanien hat natürlich nach wie vor eine exzellente Jugendarbeit, doch aufgrund des RAE-Wertes kann festgehalten werden, dass im spanischen Jugendfußball Potenzial verschwendet wird. Gleiches gilt für die deutsche Ausbildung, die noch weit höhere Werte als die spanische aufweist. Doch beiden Nationen wird ein Nachlassen der sehr guten Jugendarbeit nachgesagt.10 Auch hier kann der zunehmende Fokus auf körperliche Attribute und eine zu frühe Selektion ein Grund sein.

Fazit

Es lässt sich also festhalten, dass der Relative Age Effect sehr wohl in den vier größten Ligen Europas und in deren Jugendnationalteams zu erkennen und zu messen ist. Somit ist eine grundsätzliche Potenzialverschwendung in der Ausbildung dieser Länder zu erkennen, auch wenn diese nicht gleich ausgeprägt sind. Die Lösungen dieses Problems reichen von größerer Rotation im Jugendfußball, um auch Spätentwicklern die notwendige Spielzeit zu geben, über Möglichkeiten zur entwicklungsgerechten Teilnahme im nächstjüngeren Jahrgang, wie es der schweizer Eishockeyverband praktiziert, bis hin zur Bildung neuer, genauerer Altersklassen, möglicherweise gar nach dem biologischen Alter der Jugendspieler. Allgemein wird der Relative Age Effect die Funktionäre und Trainer des Spitzensports noch über Jahre beschäftigen.

Dies ist der erste Teil eines zweiteiligen Artikels zum Relative Age Effect. Im zweiten Teil soll untersucht werden, welche Vereine bzw. deren Jugendarbeit am meisten von diesem Effekt betroffen sind.

1. https://de.wikipedia.org/wiki/U-17-Fu%C3%9Fball-Europameisterschaft_2016#Deutschland (abgerufen am 07.01.2018)

2. http://www.cms.fss.ulaval.ca/upload/psy_nouveau/fichiers/musch__grondin_2001.pdf (abgerufen am 07.01.2018)

3. https://de.wikipedia.org/wiki/Einschulung#Deutschland (abgerufen am 07.01.2018)

4. https://www.researchgate.net/profile/Werner_Helsen/publication/7570079_The_relative_age_effect_in_youth_soccer_across_Europe/links/0fcfd50899b073ebf5000000/The-relative-age-effect-in-youth-soccer-across-Europe.pdf (abgerufen am 07.01.2018)

5. https://spielverlagerung.de/wp-content/uploads/2016/03/Matth%C3%A4us-Effekt.png (abgerufen am 07.01.2018)
Zur weiterführenden Lektüre empfehle ich den zugehörigen Artikel: https://spielverlagerung.de/2016/03/31/wer-zu-spaet-kommt-den-bestraft-der-verband/ (abgerufen am 07.01.2018)

6. https://www.researchgate.net/publication/281612644_Relative_Age_Effect_im_Kinder-und_Juniorenfussball (abgerufen am 07.01.2018)

7. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/logon?language=de&sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12612-0002 (abgerufen am 07.01.2018)

8. http://de.uefa.com/memberassociations/uefarankings/ (abgerufen am 07.01.2018)

9. Alle Daten von https://www.transfermarkt.de/ (abgerufen am 07.01.2018)

10. https://www.focus.de/sport/fussball/darf-einer-fussballnation-nicht-passieren-jugend-alarm-im-deutschen-fussball-warum-der-nachwuchs-nur-noch-zweite-klasse-ist_id_5764560.html (abgerufen am 07.01.2018)

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