Eindrücke von der EuroBasket 2017

Pressing: Der Trend der EuroBasket

Mein subjektiver Eindruck ist, dass bei dieser Europameisterschaft viel mehr gepresst wurde als noch bei vergangenen Turnieren. Vor allem die Aggressivität hat zugenommen. Ich habe keine Mannschaft gesehen, die sich sofort freiwillig zurück gezogen hat. Zumindest das mannorientierte Pressen des gegnerischen Ballhandlers gehört mittlerweile zum Standardrepertoire. Kompliziertere, raumorientierte Systeme wurden zumeist nach Auszeiten eingesetzt. An der Mittellinie wurde dann immer in mannorientiertes Verteidigen übergegangen. Allgemein gab es kaum eine ‚klassische‘ Zonenverteidigung in der eigenen Hälfte.
Besonders ist das türkische Team zu erwähnen, das über zwei Systeme verfügte und zwischen diesen auch im laufenden Spiel wechseln konnte. Zu diesem Zweck nutze der türkische Trainer Ufuk Sarica gerne auch kleine Aufstellungen, teilweise sogar mit dem Schlüsselspieler Cedi Osman auf der Fünf.
In diesem ersten System war das Ziel maximalen Druck auf den Ballführenden auszuüben. Zudem gab es gute Möglichkeiten über die volle Breite des Spielfeldes zu doppeln.

Türkisches Pressing 01

Ich bin mir hierbei nicht sicher, ob der Spieler an der Mittellinie auch raumorientiert zur Formation gehört, da einfach immer einer der gegnerischen Big Man in seiner Nähe stand.
Das zweite System war darauf ausgelegt, den Ballführenden in eine Richtung zu lenken und ihn dort zu doppeln.

Türkisches Pressing 02

Dieses Verteidigen funktionierte über das ganze Turnier gesehen ziemlich gut, denn sie erzwangen viele Turnover des Gegners. In gewisser Weise war es dann Lospech, dass die türkische Mannschaft direkt in der ersten KO-Runde auf die Spanier stieß, die immer einen der Gasolbrüder an der Mittellinie anspielen konnten und somit das Pressing einfach umspielen konnten.

Doch auch bei der deutschen Mannschaft wurde vereinzelt nach Auszeiten das bekannte Pressing aus den Jugendnationalmannschaften angewendet.1 Der neue Bundestrainer Henrik Rödl, der vorher Co-Trainer und gleichzeitig Trainer der U20 war, hatte da sicher seinen Einfluss.

Eine weitere interessante Variante gab es im Viertelfinale zwischen Russland und Griechenland zu sehen:

Russisches Pressing

Die russische Mannschaft spielte hier quasi eine Box um die Mittellinie, die flexibel gedreht werden konnte. In diesem Spiel führte das Sytem direkt in einen Turnover der Griechen und einen offenen Dreier auf der anderen Seite.

Die Geschwindigkeit der Slowenen

Allgemein zum Trend des Pressings passt auch die gestiegene Geschwindigkeit der Spiele. Pace ist im Grunde nichts anderes als die durchschnittliche Anzahl der Angriffe eines Spiels pro Team.2 Bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren betrug die durchschnittliche Pace noch 70,75, in diesem Jahr ist diese jedoch auf einen Durchschnitt von 71,45 gestiegen. Der viel größere Unterschied ist jedoch, dass jetzt auch Topteams schnell spielen.

EndplatzierungLandPace 2015LandPace 2017
1Spanien70,0Slowenien74,8
2Litauen71,2Serbien67,5
3Frankreich71,5Spanien69,9
4Serbien72,0Russland71,0
5Griechenland68,1Lettland74,5
6Italien72,1Deutschland70,1
7Tschechien72,6Italien64,5
8Lettland71,0Griechenland70,6
9Kroatien69,9Litauen68,4
10Israel73,3Kroatien68,5
11Polen71,1Finnland74,2
12Slowenien69,5Frankreich76,8
13Belgien66,7Montenegro71,6
14Türkei71,3Türkei68,1
15Georgien69,9Ungarn69,0
16Finnland72,9Ukraine70,9
17Russland69,8Georgien75,1
18Deutschland72,6Polen77,1
19Mazedonien67,3Belgien69,3
20Estland69,0Israel73,5
21Niederlande66,8Tschechien73,3
22Ukraine 67,9Großbritannien72,3
23Bosnien&Herzegowina74,4Rumänien72,0
24Island75,1Island76,9

Doch selbst, wenn man diesen Wert auf die unterschiedliche Minutenanzahl angleicht, ist das im NBA-Vergleich verdammt langsam. Mit einem Wert von 89,8 wäre Slowenien mit großem Abstand das langsamste Team in der NBA.3 Das Vorurteil stimmt also immer noch: der europäische Basketball ist langsamer.

Kristaps Porziņģis als Center

Abgesehen von ihrer Geschwindigkeit waren die Letten eines der spannendsten Teams der EuroBasket. Doch anstatt sie sich komplett auf ihren Superstar Kristaps Porziņģis fokussierten, spielten die Letten einen tollen Teambasketball mit vielen Pässen und einstudierten Spielzügen.
Porziņģis war hierbei der Center – mit 2,21m auch logisch. Offensiv über jeden Zweifel erhaben, stand für mich besonders seine Defense im Fokus. Zunächst habe ich hierzu das Defensive Rating ausgerechnet.4 Das Defensive Rating drückt aus, wieviele Punkte das Team mit diesem Spieler auf dem Feld in 100 Possesions erhalten würde.

GegnerDefensive Rating
Serbien123,7
Belgien80,5
Großbritannien114,3
Russland94,7
Türkei100,3
Montenegro88,9
Slowenien128,1

Mit einem durchschnittlichen Wert von 104,4 stünde Porziņģis in den Top-20 der NBA.5 Doch auffällig ist, dass er gegen Serbien und Slowenien, zwei der Teams mit Gegenspielern mit NBA-Kaliber, eher schlecht abschnitt.

Das Problem des Defensive Ratings ist, dass es nur auf den Statistiken des Boxscores beruht. Meiner Meinung nach sind diese aber nicht ausreichend, um den defensiven Einfluss eines Spielers zu messen. Zudem werden defensive Rebounds überbewertet.
Ein gutes Beispiel ist hier Steven Adams in der letzten Saison bei den Oklahoma City Thunders.6 Sein Job war es beim Rebound den gegnerischen Spieler auszuboxen, damit sein Point Guard Russel Westbrook den Ball aufnehmen konnte und das Spiel so schneller machen würde. Deshalb hatte Steven Adams das schlechteste Defensive Rating seiner Karriere, obwohl er effektiv spielte.

Also habe ich noch eine persönliche Statistik zu Porziņģis‘ Defensivverhalten angefertigt.

GegnerMissedBoxOutopPointsopShotsBlockHelpBlockMissedHelp
Serbien4102311
Türkei170121
Montenegro1143111
Slowenien4173034

Interessant ist noch, dass fast alle (13/15) Blocks des Lettischen Teams auf Porziņģis‘ Konto gingen.

Dennis Schröder ist kein Spielmacher

Jetzt noch was zur deutschen Mannschaft: Vor zwei Jahren wurde Dennis Schröder völlig zurecht für seine gezeigten Leistungen im Nationalteam kritisiert.7 Beim damaligen Turnier war er sehr anfällig für Ballverluste und suchte meistens den eigenen Abschluss statt auf offene Mitspieler zu achten. Ein guter Wert, um so etwas zu messen, ist das Pure Point Rating (PPR).8 Das PPR nimmt Assists und Turnover und setzt diese in Bezug zueinander. Es misst quasi, ob ein Spieler die Fähigkeiten eines Spielmachers hat. Vor zwei Jahren hatte Schröder einen Wert von -0,59 und war damit der viertschlechteste Starting-PG.
Hier der diesjährige Vergleich der Starting-PG’s:

NamePPRUsage Rate
Denys Lukashov11,7316,22
Roko Ukic10,0516,69
Janis Strelnieks9,5712,26
Mantas Kalnietis8,7422,54
Jonathan Tabu5,9117,50
Stefan Jovic5,8815,43
Lukasz Koszarek5,5013,03
Nick Calathes5,3223,65
Ricky Rubio4,9221,75
Andrei Mandache4,6822,44
Gal Mekel3,7023,60
Dmitry Khvostov3,6111,91
Tyrece Rice3,6023,75
Tomás Satoránsky3,2723,07
Petteri Kopponen3,0523,49
Goran Dragic2,9834,64
Krisztian Wittmann2,2818,67
Thomas Heurtel2,1217,34
Hördur Vilhjálmsson 1,7714,53
Daniel Hackett1,5317,92
Kenan Sipahi0,3313,32
George Tsintsadze-2,3617,82
Dennis Schröder-3,0638,71
Luke Nelson-5,1922,84

Schröder schneidet bei der diesjährigen EuroBasket also noch schlechter ab. Das soll jetzt hier kein Schröder-Bashing sein, schließlich ist er trotzdem der beste Spieler der deutschen Mannschaft und mit weitem Abstand der beste Scorer. Er ist nur kein besonders guter Spielmacher. Vielleicht ist er auch etwas überfordert, wenn er offensiv eigentlich alles machen soll. Es geht darum, wie man ihn effektiv taktisch einbindet, um langfristig mit dieser goldenen Generation des deutschen Basketballs Erfolge einzufahren.

Oft werden schlechte Werte mit der Usage Rate begründet.9 Diese misst aber eigentlich nur, wie oft ein Spieler wirft und den Ball verliert, also wie oft er insgesamt den Ballbesitz beendet. Es handelt sich also um ein Henne-Ei-Problem. Hat ein Spieler viele Ballverluste, weil er eine hohe Usage Rate hat, oder hat er eine hohe Usage Rate, da er viele Ballverluste hat? Ein gutes Beispiel ist auch der russische Point Guard Dmitry Khvostov. Er hat die niedrigste Usage Rate aller Point Guards in meiner Datenmenge, da bei den Russen fast nur Alexey Shved wirft. Khvostov initiiert aber alle Angriffe.

Meiner Meinung nach hat die deutsche Mannschaft bereits gezeigt, wie es gehen könnte. Im Spiel gegen Frankreich brachte immer der jeweils andere Guard, also Lô oder Tadda, den Ball und Schröder konnte, nachdem er um ein paar Screens kam, den Ball in einer dynamischeren Position erhalten, die ja wiederum seiner Spielweise entgegen kommt. Zudem wurde Johannes Voigtmann stärker eingebunden, der ja für seine Qualitäten im Passspiel bekannt ist. In diesem Spiel machte Schröder sein bisher bestes und vor allem effektivstes Spiel im deutschen Nationaltrikot.

Schröder's Turnierverlauf

Diese oben erwähnten Spieler haben, sowie auch Lucca Staiger, das beste PPR im deutschen Team.

SpielerPure Point RatingUsage Rate
Karsten Tadda3,9710,58
Maodo Lô1,7317,82
Lucca Staiger0,5118,03
Johannes Voigtmann-1,3515,36

Und wenn der zukünftige Nationaltrainer Henrik Rödl dies taktisch in Einklang bringt, bin ich überzeugt, dass die deutsche Nationalmannschaft, besonders mit den Spielern, die aus der Jugend nachkommen, und denen, die bei diesem Turnier absagten, um Medaillen spielen kann.

1. https://youtu.be/bFEfarSEI6c?t=16m30s
(abgerufen am 21.09.17)

2. https://www.basketball-reference.com/about/glossary.html#pace
(abgerufen am 21.09.17)

3. https://stats.nba.com/teams/advanced/?sort=PACE&dir=-1
(abgerufen am 21.09.17)

4. https://www.basketball-reference.com/about/ratings.html#defensive-rating
(abgerufen am 21.09.17)

5. https://www.basketball-reference.com/leagues/NBA_2017_leaders.html
(abgerufen am 21.09.17)

6. https://www.basketball-reference.com/players/a/adamsst01.html#per-100-poss
(abgerufen am 21.09.17)

7. https://www.welt.de/sport/basketball/article146238582/Schroeders-schaedlicher-Egoismus-gegenueber-Nowitzki.html
(abgerufen am 21.09.17)

8. https://ilevy.wordpress.com/stats-glossary/ppr/
(abgerufen am 21.09.17)

9. https://www.basketball-reference.com/about/glossary.html#usg%
(abgerufen am 21.09.17)

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