Es ist also schon wieder passiert.1 Die niederländische Nationalmannschaft hat es verpasst, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Bereits vor zwei Jahren wurde2, als die Europameisterschaft verpasst wurde, über die Gründe des Niedergangs der niederländischen Nationalmannschaft diskutiert.3 Sogar eine Umstrukturierung der Ausbildungsphilosphie an sich stand im Raum.4
In diesem Beitrag möchte ich folgende These bearbeiten:
Um internationales Niveau zu erreichen, sehen sich immer mehr niederländische Talente dazu gezwungen, immer jünger zu ausländischen Top-Klubs zu wechseln, da die Eredivisie zunehmend schlechter wird. Durch dieses jüngere Lebensalter steigt die Wahrscheinlichkeit zu scheitern, und der Legionärsanteil der niederländischen Nationalmannschaft wird größer. Schlussendlich wird es so für den Nationaltrainer immer schwieriger ein funktionierendes System zu installieren, da die Blockbildung vergangener Jahre fehlt.
Zuallererst möchte ich erwähnen, dass die Niederlande in einer der schwierigsten Gruppen, basierend auf dem Elo-Rating, der europäischen Qualifikation platziert waren.5 Die Zahlenwerte sind vom 15. Oktober 2017, also NACHDEM die Qualifikation ausgespielt war.
Gruppe | durchschnittliches Elo-Rating |
---|---|
I | 1667,17 |
A | 1658,00 |
G | 1631,17 |
D | 1613,83 |
E | 1605,67 |
F | 1592,67 |
C | 1534,50 |
H | 1531,17 |
B | 1504,33 |
Allerdings hat die Niederlande immer noch ein besseres Rating als Schweden. Die Stärke der Gruppe darf also trotzdem keine Ausrede sein.
Wechseln zunehmend mehr Spieler ins Ausland?
Um diese Frage zu klären, habe ich die Datenmenge auf Spieler, die in eine der 6 europäischen Top-Ligen wechseln, – also England, Spanien, Italien, Deutschland, Frankreich, Portugal – beschränkt.6 Es ergibt sich hierbei folgendes Bild:
Offensichtlich sind ab 1995 bedeutend mehr Spieler ins europäische Ausland gewechselt, als in den Jahren zuvor. Dies lässt sich auf das Bosman-Urteil zurückführen, das die Ausländerregel der UEFA de facto entkräftet hat. Denn seitdem dürfen EU-Bürger nicht mehr als Ausländer gelten und Vereine können unbegrenzt solche Spieler verpflichten. Der niederländische Fußball ist also definitiv kein Profiteur dieses Urteils, da seitdem nicht nur absolute Topspieler, wie Johan Cruijff oder Johan Neskens, den Weg ins Ausland finden, sondern auch „normale“ Spieler.
Die Spieler wechseln jünger
Um dies zu verdeutlichen bzw. einen Trend erkenntlich zu machen, habe ich den gleitenden Durchschnitt 5. Ordnung verwendet.
Der subjektive Eindruck bestätigt sich also. Im neuen Jahrtausend werden die Spieler, die aus Holland ins Ausland wechseln immer jünger. Allerdings gab es auch bereits Mitte der 80er Jahre eine Phase, in der Spieler zu Beginn ihrer Karriere gewechselt sind. Kritisch ist es dann, wenn das passiert, was die letzten 10 Jahre passiert ist: Immer mehr Spieler wechseln bereits im B-Jugend-Alter, also mit 16 oder 17. Diese sind zu diesem Zeitpunkt unmöglich voll ausgebildet und müssen sich in einem fremden Land zurechtfinden. Es ist aber kaum vorstellbar, dass dieser Trend so weitergeht, da die UEFA einen noch früheren Wechsel unterbindet – es sei denn, die Eltern ziehen mit um.7
Das Niveau der Eredivisie wird schlechter
Um das Niveau der niederländischen Liga zu messen benutze ich den Durchschnittswert des Elo-Ratings am Stichtag 30.06. eines jeden Jahres.8 Dies entspricht dem vertraglichen Ende einer Fußballsaison in der Moderne.
Die Eredivisie wurde zu Beginn des Ratings eindeutig unterbewertet und erreicht erst im Jahr 1968 einen realistischen Startwert. Danach hält sich auf dem ersten Blick das Niveau relativ stabil. Interessant wird es aber, wenn man nur den Zeitraum seit dem Bosman-Urteil berücksichtigt.
An der Trendlinie ist zu erkennen, dass, seitdem jährlich regelmäßig die besten Spieler gehen, das Niveau immer weiter sinkt. Irgendwo logisch, dass eine Liga das über die Jahre nicht aufrecht erhalten kann, mit Jugendspielern den Niveauverlust auszugleichen.
Das eigentliche Problem ist aber, dass die niederländischen Spitzenteams an Qualität einbüßen. Die Eredivisie war noch nie die stärkste Liga in Europa, aber trotzdem gehörten die Spitzenteams Ajax, Feyenoord und PSV zur europäischen Spitze. Seit 1995 nimmt aber auch deren Rating ab.
Wie wahrscheinlich ist ein Scheitern?
Es ist schwer, das Scheitern eines Profis zu definieren, da das auch immer von den Erwartungen abhängt – man kann z.B. nicht erwarten, dass jeder der Spieler, die ins Ausland wechseln, auch Nationalspieler wird. Zum einen ist eine Nominierung reine Willkür des Trainers und hängt von der Konkurrenzsituation auf der Position ab, zum anderen ist ein Kader bei einem Turnier auf 23 Plätze beschränkt.
Ich wollte daher eine Quote der Spieler bilden, die wieder zurück in die Eredivisie wechseln. Doch nicht jeder, der zurück in die Heimatliga wechselt, ist automatisch gescheitert. Ein Ronald Koeman z.B., der nach 6 Jahren bei Barça zurück in die Heimat wechselt, ist sicher nicht gescheitert. Also habe ich noch den Zeitraum zwischen Wechsel und Rückkehr berücksichtigt.
Jetzt wird noch ein weiteres Problem deutlich: Die Rückkehrquote vor den 80er Jahren beträgt nahezu 100%. Allerdings ging damals eine Karriere auch wesentlich länger. Es war üblich, dass Spieler mit 35+ noch ein paar Jahre in der Heimat spielten, was heute in dieser Form nicht mehr realistisch ist.
Außerdem wird der Verlauf zum Ende hin geringer, da die Karriere der Spieler aktuell noch läuft. Es gab also überhaupt nur wenige Möglichkeiten, um zurückzuwechseln.
Unterm Strich bin ich an der Messung des Scheiterns gescheitert.
Spielt die niederländische Nationalmannschaft noch in Holland?
Aufgrund der oben aufgeführten Anzahl der Wechsel ist zu erwarten, dass ein immer größerer Teil der niederländischen Nationalmannschaft auch im Ausland spielt. Das ist auch so:
Die Balken stellen die Anzahl der Spieler dar und die Linie den Anteil am Kader.
Selbstverständlich gab es in den 30ern kaum Legionäre. Es ist aber zu sehen, dass der Anteil der Legionäre zunimmt. Seit dem Bosman-Urteil ist dieser Wert, abgesehen von der WM 2006, immer über 50%. Die Mehrheit der holländischen Nationalspieler spielt somit im Ausland.
Jetzt ist eine hohe Quote nicht per se etwas Schlechtes, da ja die Spieler im Ausland oft bei internationalen Spitzenklubs spielen. Zum Beispiel hat die deutsche Nationalmannschaft in der Moderne ihre Titel jeweils mit einem hohen Legionärsanteil gewonnen. Dieser war aber doch unter 50%.
Viel wichtiger als der Legionärsanteil ist für eine Nationalmannschaft die Blockbildung innerhalb des Kaders. Die Spieler kennen sich untereinander und der Trainer kann von bestehenden Strukturen und Taktiken profitieren – auch wenn einige dafür kritisiert werden. Es ist schlichtweg zu schwer komplexe taktische Konzepte in der kurzen Vorbereitungszeit ohne Vorwissen der Spieler einzustudieren.
Die letzten drei WM-Turniere lassen auch darauf schließen, denn jeder Weltmeister hatte eine Achse bestehend aus den Spielern der zwei besten Klubs im Land.
Dies galt auch für die Niederlande in den 70ern. Damals wurde eine Achse der bei Ajax ausgebildeten Spieler ergänzt. Auffälligerweise war dies auch im Zeitraum 88 bis 96 der Fall – trotz des hohen Legionärsanteils. Denn viele Spieler spielten für den AC Mailand oder den FC Barcelona.
Doch seit der verpassten WM 2002 steigt die Anzahl der unterschiedlichen Vereinszugehörigkeiten im niederländischen Team. Die Blockbildung von früher existiert nicht mehr.
Fazit
Der Großteil der oben formulierten These trifft zu. Lediglich die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns konnte ich nicht messen. Subjektiv habe ich allerdings schon den Eindruck, dass die Karriere der aktuellen niederländischen Toptalente, z.B. Jeffrey Bruma, Steven Berghuis, oder Memphis Depay, eher schleppend verläuft.
Momentan habe ich auch keine Idee, wie der Holländische Fußballverband dieses Problem lösen kann, denn es liegt nicht in seiner Hand. Spieler entscheiden selbst, ob sie einen Wechsel ins Ausland bevorzugen oder nicht. Es wird interessant zu beobachten sein, wie sich die aktuelle Generation der niederländischen Nachwuchstalente um Mathjis de Ligt und Frenkie de Jong schlägt und auch entscheidet. Das Talent ist meiner Meinung nach auf jeden Fall da. Oder um Pep Guardiola zu zitieren: „Ändert den Fußball nicht zu drastisch. Glaubt mir, ihr macht schon vieles sehr gut.“9
1. https://www.youtube.com/watch?v=j82VFs0NZY4
↩(abgerufen am 20.10.17)
2. http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/harte-kritik-von-johan-cruyff-an-hollands-fussball-nationalteam-13513900.html
↩(abgerufen am 20.10.17)
3. http://www.stern.de/sport/fussball/oranje-ganz-unten–niederlaendischer-fussball-in-der-krise-7046340.html
↩(abgerufen am 20.10.17)
4. http://www.taz.de/!5387918/
↩(abgerufen am 20.10.17)
5. http://www.eloratings.net/
↩(abgerufen am 20.10.17)
6. https://www.transfermarkt.de/eredivisie/transferstroeme/wettbewerb/NL1
↩(abgerufen am 20.10.17)
7. https://www.fifa.com/mm/document/affederation/administration/regulations_on_the_status_and_transfer_of_players_en_33410.pdf#page=17
↩(abgerufen am 20.10.17)
8. http://clubelo.com/
↩(abgerufen am 20.10.17)
9. http://www.taz.de/!5387918/#ad_zone_artikel_medrec_1
↩(abgerufen am 20.10.17)